Goldener Schnitt 2017

Die Baumpflegemaßahme für den diesjährigen Goldenen Schnitt, gehörte einerseits technisch zu unserem Alltag, war aber für uns in einer anderen Hinsicht herausfordernd.
Die Bäume, um die es ging, zwei Rosskastanien in beginnender Alterungsphase, waren mit ihren 26m zwar groß, aber weder durch Wuchs oder Vorschädigung als schwierig einzustufen. Auch die durchgeführten Maßnahmen der Kronenpflege, der Nachbehandlung stark eingekürzter Äste und der Austausch bzw. Ersatz der Kronensicherungen entsprechen wohl eher der baumpflegerischen Routine und waren auch klettertechnisch keine Herausforderung.
Was aber den Sachverhalt interessant und spannend macht und gerade diesen Bäumen die Chance gibt, den Goldenen Schnitt zu gewinnen, ist die Vorgeschichte:
Wie so oft wurden wir zu einer Vorbesichtigung bezüglich Angebotsabgabe für Baumschnittarbeiten in einen Privatgarten gebeten. Dort staunten wir dann nicht schlecht: vor uns lag ein mächtiger wohl 20m langer Lindenstamm samt Krone, der quer in den Garten gebrochen war. Der Baumeigentümer war beunruhigt und verängstigt und auch wenn der bisherige Schaden gering war, machten ihm die Nachbarn zusätzlichen Druck.

Grund für die Besorgnis stellte neben dem eingetretenen Schadensfall die Tatsache dar, dass sich im Garten außer der gestürzten Linde noch zwei Rosskastanien befanden, welche den gebrochenen Baum in Höhe und Mächtigkeit nochmal deutlich übertrafen.

Die Angst wurde noch dadurch verstärkt, dass der Baumeigentümer bereits erste Schritte eingeleitet hatte und ein Baumgutachten für die verbliebenen zwei Bäume in Auftrag gegeben hatte, das eine für die Kastanien vernichtendes Urteil ergab. Beauftragt wurde die „Forstliche Wirtschaftsberatung München“ welche zu dem Ergebnis kam, dass unsere Kastanien als extrem verkehrsgefährdend einzustufen seien und als einzig mögliche Maßnahme zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit eine „drastische Reduktion der Baumkrone“ zu empfehlen sei.

Nun standen wir also vor der schwierigen Wahl: verdienen wir schnell und einfach ein gutes Geld und setzen eine baumzerstörende Maßnahme, welche zwar durch ein Fachgutachten legitimiert wurde, bedenkenlos um oder gehen wir unter Missachtung der gutachterlichen Weisung das Risiko ein einen lukrativen Auftrag zu verlieren bzw. bei Ausführung einer Alternativmaßnahme im Schadensfall in Regressansprüche verwickelt zu werden.
Das Richtige für uns war, die Verantwortung für unsere Bäume, unsere Arbeit und unseren Berufsstand, die Baumpflege, zu übernehmen.
Sogleich begannen wir mit der schwierigen Aufgabe: Im persönliche Gespräch klärten wir den Baumeigentümer über die fatalen Folgen der im Gutachten empfohlenen Maßnahme auf, wonach Starkastschnitte eine Baum zerstörende Maßnahme darstellt und vor allem bei einer schwach kompartimentierenden Baumart wie der Rosskastanie zu irreparablen Schäden führen. Parallel dazu führten wir eine qualifizierte Inaugenscheinnahme an den beiden „Problembäume“ durch. In diesem Zuge konnten weite Passagen des Gutachtens falsifiziert bzw. deutlich entkräftet werden.

Nach reiflicher Abwägung aller Gesichtspunkte und Absprache im Team entwickelten wir ein konstruktives Lösungskonzept, welches sowohl der Verkehrssicherungspflicht des Baumeigentümers als auch dem Wohle und den Bedürfnissen der Kastanien gerecht wurde. Kernelement unseres neuen Baummanagements waren folgende Maßnahmen:
– eine regelmäßig durchgeführten Baumkontrolle nach den FLL Baumkontroll-Richtlinien
– Austausch der vorhandenen, veralteten und teilweise stark geschädigten Kronensicherungen
– Bekletterung der Bäume mit Kontrolle der Anbindungen, der potenziellen Unglücksbalken und Astungswunden, insbesondere alter durch eine Kronenteileinkürzungen zugefügten Schnittstellen
– entsprechend den Befunden der Baumkontrolle Ableitung des Handlungsbedarf
– Durchführung der Kronenpflege
– nach Abschluss der Baumpflegearbeiten Dokumentation des Zustand der Bäume und Art und Intensität der ausgeführten Maßnahmen in Form eines Arbeits- und Kontrollberichtes, der das bestehende Gutachten ersetzen soll.

Die nach Auftragserteilung durchgeführte Bekletterung und Kontrolle der Bäume bestätigte die bereits bei der qualifizierten Inaugenscheinnahme festgestellte nur geringe und durchaus der Entwicklungsphase entsprechende Schädigung der Bäume. Der Holzkörper wies keine Risse und Schwachstellen auf und die entstandenen Wunden zeigten ebenfalls keine nennenswerten Faulstellen. Aufgrund der Stagnationsphase (VS2) in welcher sich unsere beiden Bäume bereits befinden war sowohl die Reiteration als auch das reguläre Trieblängenwachstum als mäßig einzustufen und die nötigen Nachbehandlungsschnitte ausschließlich im Fein-und Schwachastbereich auszuführen was den Vorteil hatte, dass fast die komplette Assimilationsmasse erhalten werden konnte und den Bäumen für Reserveeinlagerung und Kompensationsanbau uneingeschränkt zur Verfügung steht.

In beiden Bäumen wurden jeweils zwei Kronensicherungen ersetzt bzw. ausgetauscht. Entsprechend der stattgefundenen Adaption (auch die Bruchsicherung war bereits auf Spannung) wurden die Kronensicherungen annähernd an den gleichen Positionen bzw. aufgrund holzanatomischer Veränderungen leicht verändert eingebaut.
Für die Trag-und Haltsicherung verwendeten wir das Gefa Gurtband Classic mit einer Bruchlast von 4t.

Die horizontalen Bruchsicherungen im Nachbarbaum wurden entsprechend dem alten Einbau auf zwei Ebenen durchgeführt. Bei der statischen Sicherung im unteren Drittel erhöhten wir aufgrund der Abmessung an der Basis die Sicherheitsreserven und bauten anstatt der ehemaligen 4t Verbindung das Gefa Hohlseil 8t ein. Auf annähernd 2/3 oberhalb der Schadstelle entschieden wir uns aufgrund der verhältnismäßig kurzen Wegstrecke für den Einbau eines Boa Hohltaues 4t mit Ruckdämpfer.

Fazit: Gerade weil wir bei unserem Goldenen Schnitt kaum geschnitten haben entspricht die durchgeführte Maßnahme dem Stand der Technik und erfüllt das Ziel der Baumpflege möglichst vitale und gesunde sowie verkehrssichere Bäume zu erhalten.
Weiter möchten wir durch unsere Einsendung auch anderen Berufskollegen Mut machen durch solides Fachwissen und Respekt und Anerkennung gegenüber den Bäumen auch in scheinbar schwierigen Situationen Partei für die Bäume zu ergreifen, verordnete aber überzogene Maßnahmen zu hinterfragen und gegebenenfalls Alternativen aufzuzeigen.